Letzte Hoffnung...

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

 In Fiesch glaubt man an die Kraft des Gebets. Seit Jahrhunderten. Jetzt erregt der Ort nahe dem Altschgletscher weltweit Aufmerksamkeit. Ein Gelübde soll den Klimawandel aufhalten und den Gletscher retten - Kein Marketing-Gag. „Das ist sicher nicht unsere Absicht gewesen, auf keinen Fall“, erklärt Pfarrer Pascal Venetz. „Ich denke mit Gelübden und religiösen Sachen geht man nicht unbedingt Werbung betreiben. Werbung wird ansonsten schon genug gemacht.“ Der Aletschgletscher ist immer noch der größte Gletscher der Alpen – aber auch er wird immer weniger. 68 Meter Länge hat er 2008 verloren. Der Fiescher Bergführer Herbert Volken meint, wenn Mensch und Technik machtlos sind, hilft nur noch Beten. Denn die Bewohner der Region könnten ohne ihren Gletscher nicht überleben. „Die Konsequenz wäre: wir hätten kein Wasser, das Schlimmste: keine Einnahmen aus der Wasserkraft und keine Touristen. Wir müssten ausziehen, weil das Land würde entvölkert. Dorfsterben, kein Verdienst, kein Brot, also gezwungen, wie unsere Väter, die Vorfahren, das Land zu verlassen.“

 Der Gletscher schmilzt und schmilzt. Wer still auf seiner zerklüfteten Oberfläche steht, hört es unten gurgeln. Auch dort, wo der Gletscher auf den Felsen trifft, rinnt es unaufhaltsam in die Tiefe. Herbert Volkens Urahn, Pfarrer Joseph Johann Volken, würde triumphieren. Er hatte als erster die Idee mit einem Gelübde. 1678 wuchs der Gletscher immer weiter, bedrohte das Tal. Seither ziehen die Fiescher alljährlich betend zur Wallfahrtskapelle, damit ein guter Gott sie vor Berggefahren behüte. „Das Problem ist, dass immer noch gebetet wird, dass der Gletscher zurückgeht“, sagt Herbert Volken. „Und unser Gebet hat genützt, das Gelübde von damals, der Gletscher ist in dieser Zeit fast vier Kilometer zurückgegangen. Und mehr als 300 Meter dünner das Eis, jetzt müssen wir das ändern, dass das Gegenteil passiert, dass der Gletscher wieder wächst.“

 Doch so einfach kann man bei einem Gelübde nicht in den Rückwartsgang schalten, zumal das Fiescher Gottvertrauen ohnehin auf eine harte Probe gestellt werden dürfte. Denn nicht nur der Aletschgletscher schwindet, sondern praktisch alle Gletscher der Alpen. Wissenschaftler der ETH Zürich erforschen seit Jahren ihren Rückzug, etwa hier am Rhonegletscher. Mit Messungen tief im Eis versuchen sie zu verstehen, wie sich der Gletscher über sein Felsbett bewegt. Die Gletscher schmelzen – und stellen die Wissenschaft noch immer vor viele Rätsel. „Unsere Methoden erlauben uns nur, an einzelnen Punkten Löcher zu bohren und da Messinstrumente anzubringen“, erklärt Martin Lüthi, Glaziologe von der ETH Zürich. „Das Phänomen wirklich zu erfassen, das ist immer noch eine Herausforderung. Das ist eigentlich der Heilige Gral der Glaziologie zu wissen, wie sich der Gletscher über das Bett bewegt.“ Gletscher schmelzen, wenn es warm ist, das ist normal. Aber sie schmelzen unheimlich schnell, und das ist nicht normal. Für die Forscher ist klar: der Mensch ist verantwortlich. Allerdings nicht wegen eines Gelübdes oder wirkungsvoller Gebete. Mit den Segnungen des Fortschritts kam der Fluch der Treibhausgase in die Welt. Und dagegen, da ist der Gletscherforscher sicher, hilft kein Beten. „Nein, weil die Erwärmung weiterhin zunehmen wird“, sagt Martin Funk, Glaziologe von der ETH Zürich. „Auch wenn wir jetzt damit aufhören, wird zwar die Geschwindigkeit der Erwärmung abnehmen, aber die Erwärmung wird trotzdem stattfinden und somit werden auch die Gletscher weiterhin abschmelzen.“

 Naturgesetze sind wichtig – aber Gottvertrauen ist in den Bergen das Wichtigste, sagt Herbert Volken. In dieser Umgebung braucht es einen, der das alles lenkt, einen Seilgefährten, auf den man sich verlassen kann, meint der Bergführer. Unterwegs zu einer Jagdhütte am Gletscher durchqueren wir einen Stollen. Mitten drin ein kleiner Altar mit der Mutter Gottes. Bis zum Papst ist Herbert Volken jetzt mit einigen Mitstreitern gereist, um den Heiligen Vater für die Umkehrung des Gletscher-Gelübdes zu gewinnen. Der Papst werde es prüfen, hieß es in der Audienz. Damit das neue Gelübde richtig wirkt, brauchen die Fiescher unbedingt seinen Segen. „Dieses Gelübde zu offizialisieren, das ist Sache des Papstes, Chefsache“, so Herbert Volken. „Und darum ist auch jetzt diese Abänderung des Gelübdes - der Gletscher soll wieder wachsen - das können wir wohl wünschen, der Pfarrer leitet das weiter über Bistum, Nuntius zum Papst. Und es ist der Heilige Vater in Rom, Papst Benedikt der XVI., der dieses Gelübde, diese Abänderung genehmigen soll - ich hoffe, er tut das - und uns dann beauftragt zu beten, dass der Gletscher wieder wächst.“

 Hier hilft auch Beten nicht mehr. Der Gletscher, der hier mal war, hat sich vor Jahrtausenden schon verflüssigt. Riesige Felsblöcke blieben liegen, die prähistorischen Jäger als Unterstand nutzten. Archäologen erforschen Dutzende Fundstellen von Orten, wo das Eis sich zurückgezogen hat. Wenn die Gletscher schmelzen, geben sie Dinge frei, die seit Urzeiten tiefgekühlt bewahrt wurden – wie dieses Holz. „Sieht aus wie 20 Jahre alt, aber es dürfte ungefähr 7000 bis 8000 Jahre alt sein und stammt aus dem Klimaoptimum, wo die Gletscher mindestens so weit zurückgewandert sind, wie wir es heute erleben“, meint Thomas Reitmeier von der Universität Zürich. Alles schon mal da gewesen. Wer in Jahrtausenden denkt, sieht manches gelassener. Den Archäologen macht die Gletscherschmelze keine Sorge – im Gegenteil. Sie öffnet ihnen eine Schatzkiste mit immer neuen Dokumenten zur Siedlungsgeschichte des Alpenraumes. „Wir sind, überspitzt gesagt, wahrscheinlich die Einzigen, die damit glücklich sind, von der Wissenschaft her weil der Gletscher natürlich einiges ausspuckt durch die Abschmelze, verschiedene Reste aus der Vergangenheit, Reste von Menschen, Leichen – der Ötzi ist das prominenteste Beispiel.“

 Auch der Aletschgletscher dürfte in dieser Hinsicht ergiebig sein. Immer häufiger gibt er in letzter Zeit lang verschollene Tote frei, sagt Herbert Volken, bislang eher aus neuzeitlichen Epochen. Doch wer weiß – jetzt, da der Gletscher immer schneller schmilzt. Das Gelübde ist seine letzte Hoffnung. Wo der Mensch machtlos ist, müssen größere Kräfte wirksam werden. „Mir wäre lieber, wenn wir auf Eis stehen würden anstatt auf diesem Fels. Aber das hat irgendjemand so gewollt. Die Menschheit hat mitgeholfen, ich weiß das. Gottes Lenkung – Erderwärmung – Klimawandel – Gletscherschmelze. Leider.“ Und wenn das Beten nicht hilft - meint Herbert Volken ganz ohne Augenzwinkern - schaden tut’s garantiert auch nicht.

(Quelle: swr/werg)

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