Die grüne Lunge...

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

 Christopher Chepkwony packt seine Habseligkeiten zusammen. Am Tag zuvor hat die Polizei das Haus zerstört, als letzte Warnung sozusagen. Christopher ahnte es schon länger, jetzt ist es soweit: er und seine Familie müssen ausziehen, ihr Haus, ihr Land und ihre gesamte Ernte zurücklassen – dem Wald zuliebe.
„Ich verstehe nicht, warum wir jetzt hier wegsollen,“ sagt er. „Ich habe doch sogar ein Dokument, das besagt, dass das Land uns gehört. Hier, sehen sie… Die Landvermesser haben uns das Land zugesprochen und hier haben wir 15 Jahre gelebt. Jetzt schmeißen sie uns raus. Wir sind doch nicht schuld, dass der Wald kaputt geht.“
Und doch ist das der Vorwurf, obwohl die kenianische Regierung die Situation durch korrupte Politiker selbst heraufbeschworen hat. Vater, Mutter, Tante und sieben Kinder ziehen los – mit allem, was sie besitzen. Wie Chepkwonys Familie haben sich seit den 80er Jahren zehntausende Familien im Mau-Wald angesiedelt, teils geduldet, teils gefördert. Im Vorfeld von Wahlen haben Kandidaten Land verteilt, um Stimmen zu bekommen. Davon will jetzt kein Offizieller mehr etwas wissen. Die Siedler werden als illegal abgestempelt.
Früher war hier alles dichter Wald. Jetzt ist fast alles landwirtschaftliche Nutzfläche. Was die Familien ernährt, zerstört den Wald.
Oben an der Straße überwachen Männer des staatlichen Forstbetriebes den Abzug der Bauern. Sie sind freundlich. Bisher liefen alle Umsiedlungen friedlich ab.

Alex Lemarkoko, Kenya Forest Service
„Den Wald zu schützen ist auch Politik. Manche Politiker haben ihre Wähler mit Grundstücken im Wald belohnt. Dazu kommt die wachsende Bevölkerung – und eine Menge politischer Einmischung.“

Die Kinder und ihre Eltern haben Glück – die Waldschützer nehmen sie in ihrem Auto mit zur provisorischen Unterkunft für all diejenigen, die in diesen Tagen ihr Land und ihre Häuser zurücklassen müssen.
Der Mau-Wald ist die grüne Lunge Kenias. Von ihm hängt die Wasserversorgung der gesamten Bevölkerung ab. Ein Viertel der riesigen Fläche ist durch Abholzung und landwirtschaftliche Nutzung bereits zerstört.

Feuer machen wie seit Jahrhunderten. Julius Malaengi und seine Freunde gehören zum kleinen Stamm der Ogiek. Anders als die Masse der Siedler haben sie im Mau-Wald schon immer im Einklang mit der Natur gelebt. Heute wollen sie Honig sammeln, mit dem Feuer räuchern sie den Bienenstock aus. Die Ogiek wollen darum kämpfen, dass sie im Wald wohnen bleiben können. Bisher werden sie von den Umsiedlungen verschont. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch sie gehen müssen. Die ersten Honigwaben wirft Julius für die Wartenden nach unten, so will es die Tradition. Honig ist für die Ogiek Medizin und Nahrungsmittel in schweren Zeiten. Aber sie finden immer weniger. Auch die Jagd ist schwierig geworden.

Julius Malaengi
„Es gibt hier im Wald kaum noch Tiere. Dem Wald geht es schlecht, weil es nicht regnet. Es gibt kaum noch Bienen, weil keine Blumen mehr blühen.“

Chemalik Warionga kennt alle Bäume und Pflanzen hier im Wald. Sie weiß, was gegen Malaria oder Schnupfen hilft. Sie weiß nicht, wie alt sie ist. Nur, dass sie schon immer hier gelebt hat. Hier weg zu müssen, das kann sie sich nicht vorstellen.
„Wo soll ich denn hin,“ fragt sie. „Die Regierung wird mich hier nicht wegkriegen. Ich sterbe hier.“
Christopher Chepkwony ist mit seiner Frau und seinen Kindern bei den provisorischen Unterkünften angekommen.
Der Regierungsvertreter erklärt den Wartenden, wie sie an mögliche Entschädigungen kommen können. Das gilt aber nur für diejenigen, die ordnungsgemäße Landtitel haben. Alle anderen werden leer ausgehen.

Alex Lemarkoko, Kenya Forest Service
„Viele der Leute hier haben noch einen anderen Wohnsitz und wir erwarten von ihnen, dass sie sich wieder in die Gesellschaft integrieren, da, wo sie hergekommen sind. Denn die meisten haben sich illegal im Wald angesiedelt, in der Annahme dort bleiben zu können.“
Den ganzen Tag über kommen Familien mit ihren Habseligkeiten an. Christopher erlebt den nächsten Schock. Er erfährt, dass sein Papier nichts wert ist. Er wird keine Entschädigung bekommen. So gut es geht, richten sich alle in ihren Grashütten ein und kochen den Mais, den sie von ihren Feldern retten konnten.
Auch Christopher und seine Frau packen aus. Sie sind verzweifelt und fühlen sich im Stich gelassen.
„Wir haben kein anderes Zuhause,“ sagt er. „Da, wo wir früher waren, hat uns die Regierung mit dem Versprechen auf Land weggelockt. Die Regierung hat uns doch hier angesiedelt. Wir wissen nicht, wo wir jetzt hinsollen.“

Für Christophers Familie und die anderen Vertriebenen ist die Situation eine Katastrophe. Für den Mau-Wald aber vielleicht die letzte Rettung.

(Quelle:wdr/werg)

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