"China - Perlen"

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Das rosa Stück Plastik wird mal eine Perle. Es geht zu wie bei einer ambulanten Operation. Die Auster erduldet den chirurgischen Eingriff. Zwei halbrunde Fremdkörper werden in das Innere implantiert. Wenn alles gut geht, legt die Auster einen Perlmuttmantel darüber. Doch bis einer schönen Perle ist es noch ein weiter Weg. „Bei weitem nicht alle Austern überleben das hier“, erklärt die Perlenzüchterin Shen Xuezhen. „Bei jeder Auster hoffe ich, dass sie nicht stirbt, sondern weiter wächst. Und dass wir in ein paar Jahren schöne Perlen ernten können.“

Das chinesische Hawai

Hainan. Die Tropeninsel im Süden Chinas wird zurecht „das Hawaii der Volksrepublik“ genannt. Bis vor wenigen Jahren war dieser schöne Fleck noch völlig unbekannt. Chinas Kaiser, später auch Mao, verbannten unliebsame Köpfe nach Hainan. Die Gefängnisinsel von einst ist heute Paradies für Urlauber. Billige Perlenketten lassen den Kenner am Strand unbeeindruckt. Wer die echte Perle sucht, der wird hier fündig. Kompetente Kunden schauen nicht nur, sie rollen die Ketten. Perlen aus Hainan sind wertvoll. Im Salzwasser wachsen sie zu besonders grossen Prachtexemplaren heran. Eine Kennerin wie Frau Liao weiss das. Ein Mal im Jahr kommt sie auf die Insel zur Shoppingtour. Mehrere tausend Euro werden dieses Mal zusammenkommen.

Auf der Perlenfarm ist gerade Erntezeit. Auch an verregneten Tagen wie diesem fahren die Männer zu den Austernbänken hinaus aufs Meer. Herr Dong ist Brigadechef und seit zehn Jahren dabei. Er kennt sein Revier, die Untiefen im türkisblauen Meer. In Netze einsortiert schwimmen die Austern hier unten, nur jede Dritte überlebt. Ihre Schalen sind üppig bewachsene Schatztruhen, in denen die Perlen heranreifen. Schwerstarbeit für die kleinen Schmuckstücke, die Herr Dong und seine Männer völlig unbeeindruckt aus dem Wasser fischen. Perlenfischer ist ein Routinejob. „Um Perlen zu ernten, musst du lange warten. Erst hängen wir die Austern-Netze für ein Jahr ins Wasser. Damit kein Ungeziefer in die Perle gelangt, müssen wir die Schalen zwischendurch putzen. Und dann dauert es noch mal mindestens ein ganzes Jahr bis zur Ernte.“

Immer mehr Perlenfarmen

Das Meer beschenkt Hainan reichlich. Und macht die Insel berühmt für ihren Fisch und ihre Meeresfrüchte. Doch kein Geschäft lohnt sich so sehr wie das mit Perlen. Hier, am Südzipfel der Insel, entstehen nun immer mehr Perlenfarmen. Die letzten Momente im Leben einer Auster. Unter dem Fleisch liegt glänzendes Perlmutt. Für 70 Euro im Monat hocken die Frauen hier und kratzen die Austern aus. Eine Perle kostet dagegen das 10fache oder mehr. „Die Perlen sind etwas Besonderes, die werden zurecht so teuer verkauft“ sagt die Perlen-Farmerin Lu Xifeng. „Ich verdiene nicht viel. Aber dafür bekomme ich meinen Lohn, egal ob gerade Erntezeit ist oder nicht. Unser Chef muss ja auch die Austern jahrelang füttern. Da kommt ganz schön was zusammen.“

Wir sind zurück im Séparée für VIP-Kunden. Frau Liao nimmt nun das teuerste Perlengeschmeide in Augenschein. Die Geschäftsfrau kommt nicht aus Peking oder Shanghai – eine eigene Werbeagentur in der chinesischen Provinz hat Frau Liao ein luxuriöses Leben beschert. Sie kauft für sich und eine Bekannte ein. Ihre Schmerzgrenze liegt bei 5000 Euro – pro Perle. „Ich mag Perlen sehr. Auch meine Freunde finden sie wunderschön. Das Geld dafür haben wir: Wir verdienen gut, erfüllen uns viele Wünsche. Da gehören Perlen einfach dazu. Wenn mir eine gefällt, dann kaufe ich sie mir.“

Auskommen dank der Perlen

Perlenfischer Dong hat endlich Feierabend. Der jüngste Sohn erntet gerade Kokosnüsse und der 70jährige Grossvater wacht über das Geschehen auf dem Hof. Drei Generation leben hier unter einem Dach, und dank der Perlen geht es den Bauern besser als früher. Mit Kokosnüssen und braunem Seetang, den Dongs Frau täglich aus dem Meer sammelt, verdienen sie sich ein Zubrot, mehr nicht. „Ich würde gern einmal meiner Frau eine Perlenkette schenken. Aber im Laden kostet selbst die Billigste immer noch 50 Euro. Das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten.“

Sechs Jahre müsste Herr Dong wohl arbeiten, um jene Perlen kaufen zu können, die sich Frau Liao diesmal gegönnt hat. Nach der Shoppingtour sucht sie Entspannung im Wellness-Pavillon in Strandnähe unter Palmen. Frau Liao lässt sich eine Gesichtsmaske anrühren - und auch die besteht zu 100 Prozent aus Perlen. Die traditionelle chinesische Medizin verwendet Perlenpuder bei Herzproblemen und hohem Blutdruck. Und: Perlen sind die besten Waffen gegen Falten, glaubt nicht nur Frau Liao. „Schon unsere letzte Kaiserin Ci Xi nahm jeden Tag zum Essen ein paar Löffelchen Perlenpuder. Selbst in hohem Alter sah ihre Haut noch so jung und frisch aus, wie die einer 30- oder höchstens 40-jährigen.“

Perlen - das Geheimnis der Schönheit. Die Chinesinnen haben es hiermit selbst gelüftet. Mit ihnen blickt die Perleninsel Hainan in eine schillernde Zukunft.

(Quelle: ws/werg/ard)

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