Kirchen in Deutschland

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Schwindende Mitgliederzahlen, leere Gottesdienste und marode Finanzen - wenn die beiden großen deutschen Kirchen in den letzten Jahren Schlagzeilen machten, vermittelten diese meist den Eindruck der "Kirche in der Krise". Auch intern schwelen einige Konflikte.

Auf der anderen Seite suchen wieder viele junge Menschen Zuflucht in Orden und Klöstern; die Sonntagsmesse bleibt die größte Wochenendveranstaltung Deutschlands vor der Fußball-Bundesliga. Und im ganzen Land gibt es Ansätze, Kirche zu erneuern.

Neuordnung - Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg

Heinrich Alberts (rechts)Das Grundgesetz sei "im Schatten des Kölner Doms entstanden" – diesen Eindruck hatten viele, nicht nur der evangelische Pastor und SPD-Minister Heinrich Albertz, der ihn zu Papier brachte. Eng verwoben sind Katholizismus und Politik im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik – die katholische Kirche erscheint vielen als eine der wenigen moralischen Instanzen in einem orientierungslos gewordenen Staat.

Sie ist in den 50er Jahren auf dem Höhepunkt ihrer gesellschaftspolitischen Macht: Der Beruf des katholischen Priesters ist so beliebt wie nie zuvor und nie wieder seither. Erst Ende der 50er Jahre kommt die neu gewonnene Position ins Wanken. Der Konservatismus, mit dem die höchsten Repräsentanten des Katholizismus auf moderne Kunst, Kino und Literatur reagieren, führt auch innerhalb der eigenen Reihen immer stärker zu Kritik.

In Treysa gründeten Kirchenmitglieder die EKDAuch die evangelische Kirche genießt bei den Besatzungsmächten nach dem Zweiten Weltkrieg hohes Ansehen. Mit der Gründung der "Evangelischen Kirche in Deutschland" (EKD) 1945 auf der Kirchenversammlung von Treysa gelingt den evangelischen Kirchen, die während der Nazi-Diktatur in Gruppierungen zerfallen waren, ein Neuanfang. Die EKD vereint die lutherische, die reformierte und die unierte Kirche und ersetzt die 1933 gegründete, staatsfixierte "Deutsche Evangelische Kirche".

Ebenfalls 1945 gründet der neue Kirchenbund das "Evangelische Hilfswerk" mit dem Ziel, die Nöte der unter den Folgen des Krieges leidenden Menschen zu lindern. 13 Jahre später vereinen sich Hilfswerk und "Innere Mission" zum "Diakonischen Werk".

Hoffen auf Reformen – die 60er Jahre

Pabst-Johannes-XXIII1962 beruft Papst Johannes XXIII. ein Konzil ein – in der Peterskirche kommen 2500 Konzilsväter zur größten Bischofsversammlung der Kirchengeschichte zusammen. Auf der ganzen Welt diskutieren Katholiken über eine Modernisierung ihrer Kirche. Deutsche Medien verfolgen die Debatte aufmerksam. Die Konzilserklärung wird von vielen als Anfang einer Reformbewegung gefeiert.

1968 verkündet Papst Paul XI. in seiner Humanae Vitae, dass die Benutzung der Anti-Baby-Pille mit der katholischen Ehe nicht vereinbar sei. Diese so genannte "Pillenenzyklika" bereitet den Hoffnungen der vielen liberalen Katholiken in Deutschland auf eine lebensnahe Sexualmoral ein Ende.

Die evangelische Kirche steht den radikalen Forderungen der 68er Bewegung, beispielsweise nach Akzeptanz der "freien Liebe", weniger ablehnend gegenüber als die Mehrzahl der Katholiken, was nach Meinung einiger Kirchenhistoriker dazu führt, dass ein Graben zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche entsteht. Aus der Teilung Deutschlands folgt 1969 für die evangelische Kirche eine organisatorische Trennung. Acht ostdeutsche Landeskirchen müssen unter dem Druck der SED eigene Wege gehen.

Alternative Bewegungen – Kirche in den 70er und 80er Jahren
 Eugen DrewermannMit den 70er Jahren beginnt die Zeit der katholischen Alternativbewegungen. Frauen, Homosexuelle, Friedens- und Umweltgruppen kämpfen gegen das Zölibat, für mehr Christenrechte oder, wie die "Initiative Kirche von unten", für den christlichen Sozialismus. Der Theologe und Psychologe Eugen Drewermann redet vor vollen Rängen, Veranstaltungen wie der "Katholikentag von unten" finden großes Echo in der Gesellschaft. Unterdessen büßt die katholische Kirche an Einfluss ein. Die Zahl der Priesteramtskandidaten bricht ein, vor allem junge Menschen lehnen die offizielle katholische Kirche ab.

In der evangelischen Kirche gewinnt Ende der 70er Jahre die kirchliche Frauenbewegung an Bedeutung, viele fordern die Gleichstellung von Theologinnen und die Frauenordination. In leitenden Positionen der kirchlichen Ämterhierarchie sind Frauen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu finden. Beide Kirchen verlieren weiter an gesellschaftspolitischem Einfluss.

Politische Kirche – die Wende

1989 finden in DDR-Kirchen Protesttreffen stattZum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR beherbergen die Kirchen im Osten eine selbstbewusste Minderheit – Jahrzehnte der Diskriminierung haben sie zusammengeschweißt, die Wende gestärkt. Während der friedlichen Revolution von 1989 spielen Kirchenvertreter eine entscheidende Rolle: Sie organisieren Protestversammlungen, rufen zu Friedensgebeten wie in der Leipziger Nikolaikirche auf und erreichen damit auch viele Menschen, die mit Religion bis dahin wenig oder gar nichts zu tun hatten. Nach der Wende in der DDR werden auch die Kirchen in Ost- und Westdeutschland 1991 wiedervereinigt.

Die Geschehnisse im Osten wirken sich positiv auf das Image der Kirche im Westen aus. Hans Joachim Meyer, der Vorsitzende des "Zentralkomitees der deutschen Katholiken", oder der Erfurter Bischof Joachim Wanke sind Beispiele für prominente katholische Würdenträger mit Ost-Biographie.

Dennoch lodern die Konflikte in Deutschland schnell wieder auf: Angeheizt durch die Diskussion um die Kindesmissbrauchsvorwürfe um den Wiener Erzbischof und Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz Hans Hermann Groer wird auch in Deutschland wieder Kritik laut. Mehr als 1,8 Millionen Menschen fordern mit ihrer Unterschrift mehr Dialog von der katholischen Kirche und eine Aufwertung der Frau.

In der evangelischen Kirche vollzieht sich in den 90er Jahren ein entscheidender Wandel für die Position der Frau. Bei der Bischofswahl am 4. April 1992 in Hamburg wird die Harburger Pröpstin Maria Jepsen (geb. 1945) die erste Bischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland.

Zwischen Aufbruch und Abbruch – Kirche heute

Heute werden weniger Kinder getauft als früherMit jeweils knapp 26 Millionen Mitgliedern (Stand 2006) bilden die römisch-katholische und die "Evangelischen Kirchen in Deutschland" (EKD) nach wie vor die beiden größten Religionsgemeinschaften. Deutschland zählt damit zu den wenigen europäischen Ländern, in denen zwei gleichstarke Kirchen existieren.

Doch die Mitgliederzahlen in beiden Kirchen sinken: In der evangelischen Kirche ging zum Beispiel die Zahl der Taufen seit 1991 um mehr als 25 Prozent zurück; im Jahr 2004 traten mehr als 140.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus. Bei den Katholiken sterben seit 1972 jedes Jahr mehr Mitglieder, als durch Taufen dazukommen; von 1990 an bis heute ist die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst von 22 Prozent auf 15 Prozent gesunken. Durch die sinkenden Kirchensteuereinnahmen müssen Kirchen oder kirchliche Einrichtungen wie Kindergärten oder Altenheime geschlossen werden, Stellen werden gestrichen.

Aber es gibt auch positive Signale: Zum Weltjugendtag 2005 in Köln pilgerten rund eine Million Besucher, nach wie vor ist der Sonntagsgottesdienst die größte Wochenendveranstaltung Deutschlands. Und auch wenn die Austritte damit nicht aufgefangen werden können, nimmt die Zahl der Wiedereintritte wieder zu. 2006 schrieb die evangelische Kirche im Rheinland 2006 die niedrigste Zahl an Austritten seit 1980.

Insgesamt gibt es bei der evangelischen Kirche heute jährlich rund 2000 Wiedereintritte mehr als Mitte der 90er Jahre. Bei der katholischen Kirche ist die Zahl der Wiedereintritte seit 1990 um 83 Prozent gestiegen. Zurückführen lässt sich dieser Erfolg vielleicht auch auf die neuen, bürgernahen Wiedereintrittsstellen, die sich meistens im Zentrum der Städte befinden. Dort kann man ohne großen bürokratischen Aufwand Gespräche mit dem Pfarrer führen und innerhalb einer halben Stunde wieder Mitglied der Kirche werden.



(Quelle: katholische-kirche.de / ekd.de /wdr/swr/werg)

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