Der lange Marsch in die Freiheit

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Nach langen Umwegen sind Flüchtlinge aus Nordkorea in Südkorea eingetroffen.Die Grenze zwischen China und Nordkorea. In der Mitte des zugefrorenen Flusses liegt eine Leiche: Die Frau aus Nordkorea wollte nach China fliehen. Sie ist ertrunken. Niemand beerdigt sie. Ihr Schicksal soll vermutlich Nachahmer abschrecken.

Der Blick auf Nordkorea. Durch zwei Flüsse ist das Land von China getrennt. Die Grenze ist streng bewacht, aber es gibt Schlupflöcher und korrupte Grenzsoldaten. Nur hier haben Nordkoreaner eine Chance, der Armut und Unterdrückung in ihrer Heimat zu entfliehen. Einige 100 versuchen es jeden Monat.

Illegaler Grenzverkehr - vor allem in der Nacht. Heimlich gefilmt: Flüchtlinge, Schmuggler, Menschenhändler überqueren die Grenze oft nackt. Nasse Kleidung könnte sie später bei Kontrollen verraten. An einer anderen Stelle führt ein Schleuser eine junge Nordkoreanerin über den Fluss. Für viele sind es nur die ersten Schritte auf einer Flucht, die 5.000 Kilometer entfernt enden wird - wenn alles gut geht.

In Chinas Grenzstädten leben Zehntausende Nordkoreaner, viele davon illegal und in ständiger Angst vor der Abschiebung nach Nordkorea, wo sie eingesperrt, gefoltert und sogar umgebracht werden.


Gefährliche Flucht mit langen Umwegen

Eun Hee packt für die große Flucht. Einmal wurde die 23-Jährige schon gefasst: Sie verbrachte Monate im nordkoreanischen Arbeitslager: "In einer Nachbarzelle traten die Aufseher einer Hochschwangeren mit voller Wucht in den Bauch, weil sie ein Kind von einem Chinesen in sich hatte. Ich glaube nicht, dass das Baby das überlebt hat. Ich habe mich gefragt, warum ist gerade unser Leben so hart. Hätte ich ein Messer gehabt, hätte ich mir die Pulsadern aufgeschnitten."

Das letzte Essen mit der Mutter, die aus Angst vor Verhaftung nur zum Einkaufen die Wohnung verlässt. Eun Hee gelang noch einmal die Flucht nach China. Aber jetzt will sie weiter: durch Dschungel, über Flüsse und Grenzen nach Thailand, von da nach Südkorea. 2.000 Euro hat sie Fluchthelfern bezahlt. Das Geld hat die Mutter verdient - und sich dafür im Internet ausgezogen.

Abschiedsfoto. Bruder und Mutter wollen nachkommen, wenn sie genug Geld haben. Sollte Eun Hee erwischt werden, würde Nordkorea sie als Wiederholungstäterin noch härter bestrafen, vielleicht sogar hinrichten. Draußen ruft sie die Mutter noch einmal an: "Mach' dir um mich keine Sorgen, alles wird gut gehen, pass' auf dich auf, Mami."

Ein Auto wartet auf sie: Fünf Stunden Fahrt bis zum vereinbarten Treffpunkt. Die Flucht wird von südkoreanischen Christen organisiert. Eine Frau gibt den Flüchtlingen Anweisungen. Nicht auffallen, in der Öffentlichkeit nicht miteinander reden. Die Sprache könnte sie verraten.

Min Chul ist erst zehn, seine Mutter ist bereits in Südkorea, er soll nachkommen. Der Vater ist tot, ein Onkel hat auf ihn aufgepasst. Er verspricht, den Erwachsenen zu gehorchen. Jetzt muss er mit fremden Menschen auf eine Reise voller Gefahren gehen.

Im Bus fahren sie mehrere Stunden nach Peking. Sie tarnen sich als Touristen und gehen zum Bahnhof. Die Gruppe sitzt in verschiedenen Abteilen und schweigt. Alle haben Angst. 38 Stunden dauert die Fahrt quer durch China. Der kleine Min Chul: Jeder Passagier könnte Verdacht schöpfen, der Schaffner nach Ausweisen fragen - die Fahrt erscheint endlos und überall ist Polizei. Aber nach 2.500 Kilometern erreichen sie unerkannt die Stadt Kunming.

Ein Kleinbus wartet und bringt sie an die südliche Grenze Chinas. Eun Hee darf wieder reden. "Wenn ich gefasst werde, bringe ich mich um. Ich habe solche Angst."


C
hristliches Netzwerk hilft den Flüchtlingen

MekongNach weiteren 500 Kilometern: die Grenze zu Laos. Das Land müssen sie durchqueren, aber auch Laos liefert Flüchtlinge an Nordkorea aus. Ihnen bleibt nur den Weg durch den Dschungel. Der Fluchthelfer ist ein Nordkoreaner, der nach Südkorea fliehen konnte, dank des christlichen Netzwerks, für das er nun arbeitet. Fluchthelfern drohen in China mehrere Jahre Gefängnis.

Kim Jin, Fluchthelfer: "Mir tun Nordkoreaner leid, es ist der schlimmste Ort der Erde. Deshalb bin ich ja auch abgehauen. Jetzt ist es mein Job, Menschen zu retten. Ich bin Christ, und Gott sagt, wir sollen den Schwachen helfen."

In der Nacht trifft er die Gruppe. Eun Hee ist erschöpft, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Hand in Hand ziehen sie los. Sie können sich leicht verlaufen, nur selten dürfen sie Taschenlampen einschalten, damit sie nicht ins Visier von Grenzsoldaten geraten.

Am nächsten Tag machen sie Pause, sie sind immer noch in China. Ihre Beine werden müde, einige haben Schnittwunden. Sie warten auf einen weiteren Fluchthelfer.

Der Weg wird beschwerlicher. Der kleine Min Chul hält noch durch, klettert über Baumstämme, erst nach 36 Stunden erreichen sie Laos. Am Treffpunkt hinter der Grenze wartet wieder ein Bus, sie sind immer noch in Gefahr.

In der Nacht wollen sie die Grenze zu Thailand erreichen. An einer Raststätte machen sie halt. Min Chul kann nicht mehr, er weint, will nicht Essen, das Schlucken tut weh. Eun Hee übergibt sich. "Es ist so hart, aber es war die richtige Entscheidung. Wenn ich durchkomme, bin ich frei. Da drüben, das war doch kein Leben. Mich macht das immer wütender."

Die Grenze zu Thailand. Min Chul duckt sich apathisch vor einem laotischen Patrouillenboot. "Am anderen Ufer ist es hoffentlich vorbei. Ich bin aufgeregt, aber auch beunruhigt. Glücklich, aber auch sehr nervös", sagt Eun Hee.

Nur noch über den Fluss Mekong: Thailand liefert Flüchtlinge nicht aus. Nach gut einer Woche seit der Abfahrt in der Wohnung sind sie in Sicherheit.

In einem Haus der südkoreanischen Fluchthelfer fällt die Anspannung ab. Eun Hee ruft ihre Mutter an: "Ja, ich bin glücklich, ich bin in Bangkok, in Thailand. Es tut mir so leid, dass du dir solche Sorgen machen musstest."

Auch Min Chul ruft seine Mutter an: "Ich habe es wirklich geschafft."

Am nächsten Morgen verabschieden sich die Flüchtlinge von einander. Sie fahren zur südkoreanischen Botschaft. Dort bekommen sie Papiere, mit denen sie in die südkoreanische Hauptstadt Seoul ausfliegen dürfen.

Eun Hee gehört zu den knapp 2.800 Nordkoreanern, denen im vergangenen Jahr die große Flucht gelang. Aber fast genaus so viele wurden in China oder unterwegs gefasst und zurück nach Nordkorea geschickt.

(Quelle: ndr/werg)

Veröffentlicht in Startseite

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post