Kapital-Kommunistischer Luxus

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Eine Familie sitzt eng beim FrühstückSchnell zum nächsten Kundentermin in Schanghai. In der Megacity im Osten Chinas boomt der Immobilienmarkt. Für die Maklerin Gao Siyi könnte die Botschaft nicht besser klingen: Die Wohnungspreise steigen rasant, um zwölf Prozent allein seit vergangenem Jahr.

Gao Siyi, Immobilienmaklerin:
"In der Immobilien-Branche zu arbeiten war von Anfang an vielversprechend. Ich beobachte den Markt und die Preise und sehe, welche Möglichkeiten sich bieten. Der Immobilienmarkt entwickelt sich prächtig, für mich Grund genug als Maklerin zu arbeiten."

Mitmachen, Mitverdienen. Unterdessen steigen in Chinas Metropolen die Wohnungspreise in schwindelerregende Höhe. Schlecht für Shang Zhibing und seine Familie. Als er und seine Frau hier vor 17 Jahren einzogen, war die Zweizimmerwohnung mit 35 Quadratmetern fast geräumig. Doch nun schlafen noch Großmutter und Enkel gleich neben der Küche. Enkel oben, Oma unten.

Shang Zhibing:
"Unser Plan damals sah anders aus: Wir wollten Geld sparen, ein Kind bekommen und dann aus dieser kleinen Wohnung in eine größere umziehen. Dafür haben wir auf Vieles verzichtet."

Doch noch immer stapeln sie ihre Kleidung im Schlafzimmer im großen Wandschrank. Und noch immer leben sie in dieser Shanghaier Siedlung, wo fürs Wäschetrocknen nur draußen Platz bleibt.

Auf dem Weg zur Arbeit fährt Shang Zhibing seit jeher Rad, ein Auto will er sich nicht leisten. Denn noch immer locken ihn die größeren Wohnungen. Solche Wohnblöcke wurden eigentlich für die wachsenden Ansprüche der Mittelschicht gebaut und werden jetzt überall in der Stadt feilgeboten. Doch die ersehnte Dreizimmerwohnung ist durch die Explosion der Immobilienpreise für die große Mehrheit der Chinesen unbezahlbar geworden.

Wohnen nur für Reiche

Maklerin Gao Siyi mit KundinShang Zhibing:
"Diese 100-Quadratmeter-Wohnung kostet hier drei Millionen Yuan, umgerechnet 300.000 Euro. Alle anderen Wohnungen sind auch so teuer. Vor ein paar Jahren haben die gerade mal ein Drittel gekostet."

Die Preise steigen derzeit so schnell, dass ein neuer Ausdruck kaum lohnt – der Kaufpreis rasch mit dem Filzstift korrigiert.

Gao Siyi in ihrem Element. Die Maklerin preist ein Luxus-Appartement an. Eine Kundin aus reicher Schanghaier Familie zeigt Interesse – doch wer sich hier umschaut, besteht auf Diskretion. Mit uns reden will sie nicht. Immobilien mit Interieur vom Star-Designer, denn für die Superreichen in China spielt Geld keine Rolle.

Gao Siyi, Immobilienmaklerin:
"Ein Quadratmeter kostet hier 20.000 Euro. Zielgruppe für diese Immobilie sind erfolgreiche und extrem erfolgreiche Geschäftsleute."

Die können dann aus dem Badezimmer den Blick über Schanghai genießen: Beste Lage in erster Reihe - direkt am Huangpu-Fluss.

Wohnungskauf mit Hilfe der Eltern und Banken

Shang Zhibing am ArbeitsplatzShang Zhibings Wohnwünsche sind deutlich bescheidener. Sein Arbeitgeber – ein Touristikdienstleister - zahlt gut. Monatlich 800 Euro und damit doppelt so viel wie Schanghaier Durchschnitt. Für den Familienvater aus der Mittelschicht bleibt der Traum von drei Zimmern dennoch nur ein Traum.

Shang Zhibing:
"Freunde von mir haben es geschafft: Vielleicht verdienen sie noch etwas mehr als ich, vor allem aber haben ihre Eltern viel Geld dazugegeben. So konnten sie die Anzahlung für die Wohnung stemmen und sind nun Sklaven ihrer Hypothek."

"Gefährliche Situation"

Andy XieBegehrte Objekte: Seit die Regierung vergangenes Jahr in großem Stil Kredite vergeben hat, um die Wirtschaft anzukurbeln, fließt in den Immobilienmarkt noch mehr Geld. Überall wird eifrig gebaut, doch das wachsende Angebot drückt keineswegs auf die Preise. Sie werden weiter steigen, meint auch Wirtschaftsberater Andy Xie. Immer teurere Wohnungen, die sich der chinesische Normalverdiener schon lange nicht mehr leisten kann. Experten zeigen sich zunehmend beunruhigt.

Andy Xie, Wirtschaftsberater:
"Wenn ein Chinese hier eine Immobilie kauft, zahlt er im Verhältnis zu seinem Einkommen zwei bis dreimal mehr als ein Europäer oder ein Amerikaner. Diese schwere Last trägt die Mittelschicht. Das ist eine sehr, sehr gefährliche Situation."

Eine Preiskurve, die hochgeht, auch weil viele Reiche und Superreiche Wohnungen nur nutzen, um ihr Geld zu vermehren. Die Folgen sieht man vielerorts, wenn es dunkel wird in China: Wenig Licht, die meisten Neubauwohnungen stehen leer. Spekulanten haben hier gekauft und warten jetzt ab, bis die Preise weiter ansteigen. Zu Lasten von Menschen wie Shang Zhibing.

Leben im Schneckenhaus

Luftaufnahme Schanghais in der NachtAbends wie immer alle in der Küche, dicht an dicht drei Generationen. Ihr Thema hat es sogar ins Fernsehen geschafft: "Woju" – Schneckenhaus - heißt die Serie über das verhinderte Glück vom größeren Eigenheim.

Shang Zhibing:
"Uns bleibt nur: Noch mehr arbeiten, noch mehr sparen und hoffen, dass die Regierung die Immobilienpreise unter Kontrolle bringt, damit sie nicht noch weiter hochgehen. Nur das, und harte Arbeit kann uns helfen."

Sohn Yan Yan bleibt wohl noch weiter Schneckenhausbewohner. Denn bisher ist es der Regierung nicht gelungen die Immobilienpreise zu bremsen.

Cocktail-Laune dagegen bei Gao Siyi und ihren Freunden in einer Schanghaier Glamour-Bar. Einen Kaufvertrag konnte sie zwar heute nicht abschließen. Dennoch ist die Maklerin zuversichtlich. Denn alles, was glänzt, ist zwar nicht immer gleich Gold – aber in China ist das, was hier in vollem Glanz erstrahlt, weiterhin Gold wert.

 

(Quelle: br,das.erste.de,werg)

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