Der Flötenspieler

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Letzte Schritte vor dem Galgen. Es ist ein Mittwoch, der übliche Hinrichtungstag in Iran, vor gut einem Jahr. Für die Justiz der Islamischen Republik ein klarer Fall: Ein Mörder bekommt seine gerechte Strafe. Ja, Sina, ihr Sohn, habe ein Verbrechen begangen, einen anderen umgebracht. „Aber er war doch erst 16 Jahre alt. Ihm war doch damals gar nicht bewusst, was er tat“, sagt seine Mutter. Die verzweifelte Mutter hat bereits das Bild ihres Sohnes im Kopf, wie es am nächsten Tag in den iranischen Zeitungen erscheint.

Der Tod am Galgen ist Routine Berichterstattung. 177 mal im letzten Jahr.

Flötenspiel verhindert Hinrichtung

Flötenspieler Der Richter war erstaunt über Sinas letzten Wunsch. Er wollte mit seiner Flöte in der Hand sterben und noch einmal spielen. Sina spielt um sein Leben. Das alte persische Instrument ist bekannt für seine oft unheimliche Wirkung. Sinas Eltern und auch die Familie des Opfers, alle sind zu Tränen gerührt. Der Richter hat so etwas noch nie erlebt und stoppt die Hinrichtung. Er schlägt beiden Seiten vor, sich auf ein Blutgeld zu einigen.

Nach diesem islamischen Brauch kann man Sühne nicht nur mit dem Tod sondern auch mit dem Geldbeutel regeln. Sinas Vater ist entsetzt über die Höhe des Blutgelds, das die Opferfamilie fordert. 150 Millionen Tuman, das ist eine für ihn kaum aufzubringende Summe von ca. 110.000 Euro. „Vor allem die Brüder des Ermordeten haben den Preis so hochgetrieben, weil sie meinen Sohn letztlich doch am Galgen sehen wollten. Ich habe um Vergebung gefleht, ihnen alles angeboten, was ich habe.“

An dem hohen Blutgeld war nicht mehr zu rütteln. In seiner Not wandte sich Sinas Vater an die Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh. Vor allem, weil es sich um einen minderjährigen Täter handelt, hat sie den Fall angenommen. Es begann ein Wettlauf um Zeit und Geld. Das Gericht musste überzeugt werden, dass man das Geld irgendwie zusammenkriegt, und von der Opferfamilie hat sie ein Jahr Aufschub erreicht.

Vorerst schien alles ganz so, als hätte sich Sina mit seiner Flöte retten können. Auch seine Freunde, die ebenfalls die Ney, die alte persische Flöte spielen, waren erleichtert. Alle wussten, dass Sina drogensüchtig war. In Teheran ist das nicht mit gesellschaftlicher Ächtung verbunden. Man kommt leicht an den Stoff. Dass sich Sina hier im Park mit einem Dealer gestritten hat und ihn dann mit einem Messer umbrachte, das kommt selten vor in Iran.

Drogen und Gewalt

„Mit der Flöte kann man gegen Depressionen anspielen. Doch wenn du nicht aufpasst, dann wirst du sehr einsam“, meint ein Nachbar Sinas. So wird Sinas Befinden geschildert. In einem nicht gerade vornehmen Viertel im Osten Teherans, in dem auch Präsident Achmadineschad mal wohnte, ist Sina aufgewachsen. In der Schule eher mittelmäßig, dazu noch vollkommen unsportlich, versuchte er mit Flöte und Drogen seine alles andere als rosigen Zukunftsaussichten auszublenden.

Ein Mullah, der auch als Richter tätig ist, macht sich Sorgen. Bei Irans überdurchschnittlich hoher Zahl an Jugendlichen bleiben zu viele auf der Strecke. Driften ab, nicht nur ins Drogenmilieu. Sie werden gewalttätig. Über 50% der Morde hängen damit zusammen. Die Tatwaffe ist, wie bei Sina, das Messer. Auf allen Bazaren Irans wird es so angeboten, dass man es nicht übersehen kann. Dabei ist es offiziell verboten, ein Messer, zumindest in dieser Größe, bei sich zu tragen. Allein im letzten Jahr sind 740 Morde damit begangen worden.

Bei vielen Jugendlichen In Iran gehört das Messer, wie die Jeans zur Alltagsausstattung. Ohne Messer fühlen sie sich schutzlos. Und bei Streitereien wird nicht lange gewartet, bis dann das letzte Mittel zum Einsatz kommt. Wenn auch noch Drogen mit dabei sind, wie bei Sina, dann geht alles noch schneller, noch tödlicher.

Am Galgen Seit 3 Jahren sitzt er im Gefängnis. Darf nur so aufgenommen werden, dass man ihn nicht erkennen kann.Vor einem Jahr war es, da hatte er die Schlinge schon fast um den Hals. Seine Flöte hat ihn vorerst gerettet. In einer Woche läuft die Frist ab, müssen die umgerechnet 110.000 Euro Blutgeld der Familie seines Mordopfers übergeben werden. Wenn nicht, dann droht ihm unverzüglich der Galgen.

Sein Vater konnte bis jetzt nicht einmal die Hälfte zusammenbetteln. Es sieht nicht gut aus. Er möchte, dass alles bald vorbei ist. Er habe doch nur im Affekt getötet. Doch sei er bereit, dafür mit dem Tod zu büßen. In allerletzter Not wendet sich Sinas Rechtsanwältin dahin, wo in Teheran viel Geld zu Hause ist. Sie hat eine Kampagne über die Medien gestartet. Es kommen viele kleine Spenden zusammen. Doch es reicht nicht.

Rettung in letzter Minute

Am letzten Tag der Frist ist er der Retter: Amir M.Ganji, ein Industrieller. Mit den noch fehlenden etwa 75.000 Euro kann er Sinas Hals beinahe in letzter Minute noch aus der Schlinge ziehen. Von seinem Vater ist er dazu erzogen worden zu helfen. Schon aus religiösen Gründen gehöre das in seiner Familie zur Tradition.

Sinas Rechtsanwältin kommt noch am Abend mit der ganzen Familie ins Büro, um allen Leuten die frohe Botschaft mitzuteilen. Sie hat es diesmal geschafft. Ob die weiteren etwa 50 zum Tode verurteilten minderjährigen Täter eine Chance bekommen, wie Sina , das hält sie kaum für möglich.

Nachdem auch für das Gericht das Blutgeldgeschäft erledigt ist, traut sich der Vater wieder auf die Straße. Seine Arbeit hat er längst verloren, zu Hause leben sie mit einem Bruder von Sina in einem Zimmer. Er hofft, dass alle zusammen nach dieser glücklichen Rettung noch einmal neu beginnen können.

Zwischen 6 und 12 Monaten wird Sina noch im Gefängnis bleiben müssen.Dann ist er frei - Geld für Leben. Seine Mutter ist glücklich und unglücklich zugleich. Wir sind alle mehrmals mit Sina gestorben. Und ein neues , erkauftes Leben – dazu könne ihr und der Familie nur Gott helfen.

(Quelle: daserste/werg)

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