Der fröhliche Friedhof

Veröffentlicht auf von Radio Sonnenschein

Herzliche Sprüche für die Toten

Die Cowboystiefel gehören zu der eigens für ihn entworfenen Arbeitstracht. Und ohne die geht Dumitru Pop Tinku niemals zu einem Besuch auf den Friedhof. Denn er ist ziemlich stolz auf seinen Beruf, der es mit sich bringt, dass er fast alle kennt, die hier liegen. Ja mehr noch, Pop Tinku hat sie alle auf ihren Grabkreuzen verewigt.

Dumitru Pop Tinku:
„Hier liegt zum Beispiel ein jüngerer Mann, der schon im Alter von 45 Jahren gestorben ist. Und auf das Kreuz habe ich geschrieben:

‚Wer den Schnaps so liebt wie ich,
wird es bereuen, bitterlich!
Noch trank ich Schnaps beschwingt und munter,
da zerrt der Tod ins Grab mich runter.’

Und da sehen sie die Schnapsflasche, das Glas in der Hand des Trinkers und wie der Tod ihn am Bein herunterzieht. Und dann haben wir hier noch ein Kreuz mit einer sehr persönlichen Botschaft an den Witwer der Verstorbenen: ‚Ich war eine Schwalbe. Und so eine wie mich wirst Du nicht mehr finden.’ Na ja, die Dame wurde im Dorf als Schwalbe bezeichnet, weil sie sehr attraktiv war aber auch mehrere Männer hatte. Und ihr Angetrauter wusste das.“

Große Aufgabe und todsicherer Arbeitsplatz

Dafür, dass jetzt auch die Nachwelt über diese und andere intime Details aus dem Privatleben der Dorfbewohner Bescheid weiß, sorgt Dumitru Pop Tinku: Holzschnitzer, Maler, Dichter in Personalunion. Auf seinen Kreuzen auf dem Friedhof im rumänischen Dorf Sapanta steht die nackte Wahrheit über die Verstorbenen – Bestechungsversuche zwecklos.

Dumitru Pop Tinku:
„Schließlich kennt man hier das Leben von jedem im Dorf. Wenn ich also doch mal eine Ausnahme machen und jemanden zu positiv beschreiben würde, was glauben sie, was dann los wäre? Da würden doch gleich alle kommen und fragen: ‚Warum hast Du den geschont, aber den oder den nicht?’ Das kann ich nicht machen. Und glauben Sie mir: Ich kenne die Leute hier vom einen Ende des Dorfes bis zum anderen. Nennen Sie mir einen Namen aus Sapanta und ich sage ihnen, was für einen Beruf er hat und welche Angewohnheiten.“

Eine große Aufgabe, also - und ein todsicherer Arbeitsplatz. Am Totenbett dieses 78-jährigen haben Angehörige und die von ihnen bezahlten professionellen Klageweiber drei Tage lang gewacht. Gleich wird die Prozession zum Friedhof aufbrechen. „Nun bist Du an dem dunklen Ort, wo Blume welkt und Gras verdorrt. Aufgezehrt hat Dich Dein Leiden, wie der Herbst das Laub der Weiden.“

Wenige Meter abseits diskutieren die Freunde des Verstorbenen ganz sachlich darüber, was auf dessen Grabkreuz stehen soll, das in etwa einem halben Jahr fertig sein wird:
„Er war fleißig, hat nicht getrunken und hat gerne in der Landwirtschaft gearbeitet.“ „Ich wette: Wenn Sie das nächste Mal unseren Friedhof besuchen, werden sie ihn auf dem Grabkreuz mit einer Sense über der Schulter sehen, wie er gerade vom Mähen nach Hause kommt. Frauen hat er ja nicht nachgestellt.“ Und auf die Frage, ob sie es denn nicht stört, wenn einmal ihre eigenen Sünden auf dem Grabkreuz stehen:
„Nein, warum denn? Ich kann das dann ja sowieso nicht mehr sehen!“

Ein früher Tod brachte die bunten Kreuze

Der Mann, der für die Inschriften auf den Grabkreuzen verantwortlich zeichnet, ist nicht auf der Beerdigung. Dumitru Pop Tinku geht so gut wie nie zu Bestattungen. Und die Dorfbewohner tuscheln, dass man ihn außer an wirklich hohen Feiertagen auch niemals in der Kirche sehe. Er ist eben lieber in seiner Werkstatt, hat viel zu tun. Die Herstellung eines Grabkreuzes dauert etwa zwei Wochen und die Auftragsbücher für das nächste halbe Jahr sind schon voll.

Die Idee, mit bunten Grabkreuzen dem Tod seinen Schrecken zu nehmen, hatte Pop Tinkus Vorgänger und Lehrer vor etwa 70 Jahren. Damals war im nahen Fluss Theiß ein junger Mann ertrunken. Niemand konnte sich einen traurigen Grabstein für diesen immer fröhlichen, beliebten Menschen vorstellen. Also entwarf ein Holzschnitzer ein leuchtend blaues Kreuz, auf das er ein buntes Bildchen pinselte, das den Verstorbenen zeigen sollte.

Dumitru Pop Tinku:
„Ja, so war das. Die Inschrift auf diesem Kreuz war damals aber noch sehr einfallslos. Da stand nur: ‚Hier ruht Sapca Gheorge, gestorben mit 21, ertrunken in der Theiß.’ Und plötzlich wollten alle solche Kreuze. Und sie haben sich gedacht: ein lustiger Text über den Verstorbenen wäre doch auch nett. Und weil ja niemand immer nur anständig ist, sondern jeder so seine Fehler und Marotten hat, hat man auch angefangen, sich in den Inschrift über diese Marotten lustig zu machen.“

Schnaps und Ehebruch als Hauptlaster

Zuviel Schnaps und Ehebruch scheinen demnach die Lieblingssünden in dieser wilden und ursprünglichen Gegend Rumäniens, am Rande Europas, nahe der ukrainischen Grenze zu sein. Der jetzt Verstorbene hat aber wohl so untadelig gelebt, dass er auch eine nette Inschrift auf seinem Kreuz bekommen wird.

Der letzte Weg vom Wohnhaus zum Friedhof führt an den Häusern von Freunden und Verwandten in dem 7000-Einwohner-Dorf vorbei. Dass gleich drei Priester die Prozession anführen zeigt, dass der Tote ein angesehener Mann war. Seine Enkelin lebt mit ihrer Familie – wie viele der Jungen – längst im Ausland. In ihrem Klagelied preist sie den Großvater in den höchsten Tönen. Ja, sie verspricht sogar hoch und heilig, hier an seinem Grab solange zu warten, bis er wiederkommt. Irgendwann wird es dem erkennbar angetrunkene Totengräber zuviel: „Der kommt nicht mehr wieder, geht endlich nach Hause!“

Bis zu ihrer Beerdigung auf dem „fröhlichen Friedhof“ werden die Verstorbenen von Sapanta also mit einer äußerst pompös inszenierten Trauerfeier verabschiedet. Sind sie erst einmal bestattet, hat das Schmeicheln ein Ende. Dann zeigt sich, woran sie gestorben sind, welche Sünden sie begangen haben.


(Quelle: WS/werg)

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